Die Philosophin Anna Tumarkin (1875–1951) war weltweit die erste Frau, die 1909 auf normalem Weg an einer von Männern und Frauen besuchten Universität zur vollberechtigten Professorin ernannt wurde. Das Leben der russisch-jüdischen Frau, die blutjung zum Studium nach Bern kam, war alles andere als einfach. Trotz der Unterstützung durch ihre liberalen Mentoren, die sich vehement für die junge Gelehrte einsetzten, musste sich die Wissenschaftlerin mühsam Schritt für Schritt hocharbeiten. 45 Jahre lang lehrte Anna Tumarkin in Bern Philosophie und Ästhetik. Durch Auftritte an internationalen Kongressen war sie in philosophischen Kreisen anerkannt.
1921 wurde Anna Tumarkin in Bern eingebürgert. Sie begeisterte sich für die Schweizer Frauenpolitik und arbeitete 1928 aktiv an der Ausstellung für Frauenarbeit (SAFFA) mit. Im Zweiten Weltkrieg stellte sie sich in den Dienst der Geistigen Landesverteidigung.
Anna Tumarkin erregte Aufsehen mit der Feststellung, die Schweiz habe durchaus eine eigenständige Philosophie. Deren eigentümlicher Charakter sei, analog zur Schweizer Politik, erdverwurzelt. Schweizerisches Geistesleben verzichte auf alle ideologischen Konstruktionen und metaphysischen Lehrgebäude. In Abgrenzung dazu zog sie eine Verbindung abgehobener Philosophiesysteme zum «grausamen Kriegsgeschehen» und zur «ratlosen Menschheit». Schwer trug sie an den Qualen ihrer Familie, die in den russischen Pogromen und im nationalsozialistischen Terror umkam. Ihre Bestimmung ertrug sie jedoch tapfer nach dem Motto: «Es kommt nicht auf das Schicksal an, sondern darauf, was wir daraus machen.»
Die ausserordentliche Biografie zeigt, dass die Schweiz auf ihre Wissenschaft,
ihre Liberalität und ihre Frauenförderung stolz sein kann.